Optimieren statt Kommandieren: Hochbegabte im Beruf und ihr unbändiger Drang zur Veränderung
Es herrscht nicht oft das Bild, dass hochbegabte Menschen oft als geniale Einzelkämpfer sind, die in Windeseile Lösungen entwickeln und scheinbar mühelos jedes Problem knacken. Doch was passiert eigentlich, wenn diese analytischen Köpfe in ganz normale Arbeitskontexte integriert werden, in Teams mit ihren eigenen Regeln und Routinen? Ein Forschungsbericht der Ruhr-Universität Bochum liefert spannende Einblicke, wie hochbegabte Erwachsene in der Arbeitswelt auftreten und mit welchen Missverständnissen sie sich herumschlagen müssen.
Der stille Drang, alles zu verbessern
Eine Erkenntnis des Berichts ist, dass Hochbegabte oft einen überdurchschnittlich stark ausgeprägten Gestaltungstrieb haben: Sie wollen optimieren, Prozesse durchleuchten und, wenn es nach ihnen geht, gleich heute alles umkrempeln. Doch während sie ihre To-Do-Liste an Optimierungen längst im Kopf durchspielen, begegnen sie nicht selten der Skepsis der Kollegen. Denn warum sollte jemand am bestehenden System rütteln, wenn doch „alles ganz gut läuft“? Der hochbegabte Mitarbeiter denkt da anders: „Ganz gut“ ist für ihn noch lange nicht gut genug!
Ein Beispiel: Marie, die kürzlich ins Team gekommen ist, sitzt in ihrem ersten Meeting und hört zu, wie die Kollegen ihre Arbeitsweise beschreiben. Sie nickt, macht sich ein paar Notizen und fragt dann vorsichtig, ob es nicht sinnvoll wäre, ein paar Schritte zu automatisieren und diese endlosen Excel-Listen durch ein anderes Tool zu ersetzen. Während sie schon enthusiastisch anfängt, Lösungen zu skizzieren, herrscht im Raum betretenes Schweigen. Ein Kollege räuspert sich: „Ähm, das hat bisher immer so funktioniert. Warum also ändern?“ Ein klassisches Missverständnis! Der hochbegabten Marie geht es nicht darum, alles auf den Kopf zu stellen – sie sieht schlicht und einfach Verbesserungspotenziale und will sofort loslegen.
Weniger Teamplayer, mehr Einzelkämpfer
Die Bochumer Studie zeigt außerdem, dass Hochbegabte häufig eine geringere Teamorientierung aufweisen. Für sie zählt oft das Endergebnis, nicht die soziale Interaktion auf dem Weg dorthin. Das erinnert an die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan, die darauf hinweist, dass intrinsische Motivation entscheidend für das Engagement am Arbeitsplatz ist. Hochbegabte sind oft in ihrer intrinsischen Motivation verankert – sie sind in die Lösung des Problems vertieft und wünschen sich am meisten die Autonomie, es auf ihre Weise zu lösen.
Betrachten wir mal Paul, der in einer Abteilung arbeitet, wo man großen Wert auf regelmäßige Teamabsprachen und Konsensentscheidungen legt. Für Paul fühlt sich das eher an wie die Bremsen zu ziehen, während er bereits im Kopf die Lösung skizziert hat. Seine Lieblingsform der Zusammenarbeit? „Jeder macht seins, und am Ende schaut man mal, ob alles zusammenpasst.“ Für ihn zählt das Ergebnis, nicht der Prozess. Wenn dann im Teammeeting alle eine Runde um den Tisch gehen und ihre Meinungen zur Lösung beitragen, bleibt Paul schweigend sitzen und nickt nur, sehnlichst darauf wartend, dass die Diskussion vorüber ist, damit er endlich an die Arbeit kann. Nicht etwa, weil er arrogant wäre – sondern weil die Lösung für ihn bereits kristallklar ist und jede Minute Diskussion wertvolle Zeit kostet.
Emotional stabil? Kommt drauf an!
Interessanterweise haben Hochbegabte laut dem Bericht oft eine niedrigere emotionale Stabilität als ihre durchschnittlich begabten Kollegen. Die Ursache? Viele Hochbegabte fühlen sich unverstanden oder werden als „Besserwisser“ wahrgenommen. Man stelle sich vor, wie es ist, wenn man selbst glaubt, eine einfache, logische Lösung zu sehen, während man aus den Augenwinkeln die Augenrollen der Kollegen bemerkt. Für jemanden, der intrinsisch motiviert und auf das Ergebnis fokussiert ist, ist das frustrierend und belastend.
Ein anderes Beispiel ist Anna, die mit Begeisterung eine Präsentation vorbereitet hat, um eine neue Strategie für das nächste Quartal vorzustellen. Sie geht die Daten durch, analysiert und sortiert alles in logischen Schritten. Doch statt der erwarteten Begeisterung über die Analyse hört sie Kommentare wie „Da hast du dich aber sehr ins Detail vertieft, oder?“. Was für Anna als präzise Datenanalyse Sinn macht, wirkt auf andere als überzogene Genauigkeit. Eine kleine Anmerkung, vielleicht sogar humorvoll gemeint, trifft sie dann oft tiefer als gedacht – Anna fühlt sich unzureichend wertgeschätzt. Die Selbstbestimmungstheorie zeigt hier die fehlende Unterstützung der „Kompetenz“: Statt Bestätigung für ihr Fachwissen zu erhalten, wird ihre Hingabe eher als Marotte wahrgenommen. Der Humor wird dann für sie schnell zur Bürde.
Gestaltungsmotivation ohne Führungsdrang
Die Studie bringt auch einen weiteren spannenden Aspekt ans Licht: Hochbegabte haben oft eine hohe Motivation, Dinge zu gestalten, ohne den Wunsch, die Führung zu übernehmen. Für ihre Mitmenschen ist das mitunter schwer nachvollziehbar. In der klassischen Teamdynamik denkt man automatisch: „Wer gestalten will, will auch führen.“ Doch das trifft auf Hochbegabte nicht zu. Sie möchten Prozesse verbessern und Ideen verwirklichen, aber am liebsten ohne die organisatorischen Aufgaben und die zwischenmenschliche Koordination, die Führungsrollen oft mit sich bringen.
Ein anschauliches Beispiel ist Max. Max ist ein Profi darin, Ideen zu entwickeln und Prozesse zu optimieren. Aber sobald ihn jemand fragt, ob er das Team für das neue Projekt leiten möchte, lehnt er vehement ab. Seine Vorgesetzten sind irritiert: Warum dieser Gestaltungstrieb, wenn doch jede Führungsposition eine Chance wäre? Was sie nicht wissen: Für Max ist der eigentliche Spaß an der Arbeit das kreative Lösen von Herausforderungen, nicht die Kontrolle über ein Team. Er ist der Typ Mensch, der in der Mittagspause noch begeistert darüber nachdenkt, wie man ein Problem im System beheben könnte – aber der Gedanke, das den Kollegen im Teammeeting „strategisch und diplomatisch“ näherzubringen, fühlt sich an wie eine Überdosis Bürokratie.
Schlussgedanken: Hochbegabte als besondere Potenziale erkennen
Die Studie legt nahe, dass hochbegabte Menschen immense Potenziale in Unternehmen entfalten könnten – wenn man ihnen den Raum und die Freiheit gibt, die sie brauchen, um ihre kreative Problemlösungskraft voll auszuleben. Die intrinsische Motivation, die Deci und Ryan als Schlüssel zur langfristigen Arbeitszufriedenheit beschreiben, ist bei Hochbegabten in der Regel ausgeprägt. Doch um ihre Kreativität und ihren Gestaltungswillen zu fördern, brauchen sie vor allem eines: Vertrauen und Autonomie.
Ein Unternehmen, das auf diese besonderen Talente setzt, kann viel gewinnen. Statt Hochbegabte in klassische Teamstrukturen einzubinden, könnte man ihnen individuelle Projekte oder Innovationsaufgaben anvertrauen, bei denen sie die Freiheit haben, ihre Ideen selbständig umzusetzen. Oft reicht es schon, die üblichen Meetings etwas kürzer zu halten oder sie nur zur Zielsetzung einzubeziehen – die Umsetzung kriegen sie dann allein und schneller hin.
Vielleicht erkennt sich der ein oder andere Leser in diesen Beschreibungen wieder und schmunzelt. Das Ziel ist klar: Hochbegabte bringen ihre ganz eigene Farbe ins Arbeitsleben, und mit der richtigen Balance aus Eigenständigkeit und Kooperation können sie sich und das Unternehmen nachhaltig bereichern.
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Quelle: (PDF) Zusammenhänge zwischen Hochbegabung und berufsbezogenen Persönlichkeitseigenschaften