Das Dilemma der Hochbegabung – zwischen "Schneller-Besser-Weiter" und "Aber nicht auffallen!"
Hochbegabte Erwachsene haben häufig eine Eigenschaft, die sie im Job begleitet – ihre Hochbegabung, die nicht immer als Vorteil wahrgenommen wird. Es gibt oft stille Konflikte: Einerseits möchten sie sich im Job einbringen und brauchen Herausforderungen, andererseits bringt das Arbeiten in Teams mit nicht hochbegabten Kolleg*innen gelegentlich Reibungen. In einer spannenden Studie von Maren Schlegler wurde untersucht, wie Hochbegabte ihren Arbeitsalltag erleben und welche Strategien sie entwickeln, um sowohl ihren Bedürfnissen als auch den Anforderungen ihres Umfelds gerecht zu werden.
Lustigerweise scheinen sich viele Hochbegabte in einem ständigen Balanceakt zu befinden, bei dem sie Herausforderungen suchen und gleichzeitig versuchen, nicht als „intellektuelles Raubtier“ aufzufallen. Ihre Denkgeschwindigkeit und Problemlösefähigkeiten unterscheiden sie von vielen Kolleg*innen – ein Umstand, der genauso inspirierend wie irritierend sein kann.
Hochbegabung im Job: Herausforderungen und Lösungsstrategien für das tägliche Arbeits-Balance-Drama
Hochbegabte werden oft als schnell, analytisch und kreativ beschrieben. Doch im Büroalltag führt das zu Situationen, in denen sie anpassen, beschleunigen und manchmal auch ausbremsen müssen. Während viele Kolleg_innen nachmittags den dritten Kaffee brauchen, um im Meeting den Faden zu behalten, entwickeln hochbegabte Mitarbeiter_innen in Gedanken schon drei Problemlösungen und eine Alternativstrategie – was sie jedoch tunlichst verschweigen, um nicht wieder den Raum in gedämpftes Schweigen zu tauchen. Der Knackpunkt? Dieses permanente Anpassen und die oft nicht erfüllten Herausforderungen führen dazu, dass Hochbegabte sich in einem nicht enden wollenden Gleichgewichtszirkus befinden.
Hier kommen Erkenntnisse der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan ins Spiel: Hochbegabte streben, wie alle Menschen, nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit – drei wesentlichen Faktoren, die die Motivation und Zufriedenheit maßgeblich beeinflussen. Doch wie können Hochbegabte diese Bedürfnisse in ihrem Beruf erfüllen, ohne gleichzeitig als allwissende „Mr. oder Ms. Klugscheißer“ abgestempelt zu werden?
1. Das Bedürfnis nach Autonomie – „Lass mich das einfach mal auf meine Art machen!“
Eines der größten Bedürfnisse vieler Hochbegabter ist die Autonomie: Sie wünschen sich, Aufgaben auf ihre Weise zu lösen und Projekte so gestalten zu dürfen, dass ihre Denk- und Arbeitsweise optimal zum Einsatz kommt. Das kann allerdings dazu führen, dass sie in traditionellen Unternehmensstrukturen auf Widerstand stoßen. Der klassische Büroalltag lässt wenig Raum für kreative Lösungswege – da werden Fragen und Ideen doch lieber „offen mitgenommen“, um sie später im eigenen Tempo zu bearbeiten. Die Studie von Schlegler zeigt, dass Hochbegabte oft eigene Wege gehen, indem sie etwa Aufgaben mit Zeitdruck angehen oder in Eigenregie zusätzliche Herausforderungen schaffen. Ein Hochbegabter berichtete beispielsweise: „Ich bearbeite Aufgaben so schnell, dass ich mir selbst künstlichen Zeitdruck machen muss, damit es nicht langweilig wird.“ So entsteht in Meetingnotizen plötzlich noch eine spontane Nebenrechnung oder es werden kreative Kommentare in den Rand geschrieben, einfach, weil die Finger nicht stillhalten können.
Autonomie kann hier heißen: Den persönlichen Arbeitsstil durch kleine Anpassungen retten – etwa durch das Setzen künstlicher Deadlines oder das Einbauen zusätzlicher Projektelemente, die sie fordern. Einige Hochbegabte in Schleglers Studie schildern zudem, wie sie gezielt Pausen einlegen, in denen sie ihre Zeit mit ebenfalls hochbegabten Kolleg*innen verbringen, um eine Erholung von Routinen zu finden und sich wieder ein wenig kreativ „auszupowern“.
2. Das Bedürfnis nach Kompetenz – „Wer, wenn nicht ich?“
Hochbegabte streben auch stark nach Kompetenz und möchten ihre Fähigkeiten optimal nutzen – ein Drang, der sie mitunter in Schwierigkeiten bringt. So berichtet die Studie, dass Hochbegabte oft dazu neigen, Projekte zu übernehmen, die eigentlich für ein ganzes Team gedacht sind – einfach, weil sie wissen, dass sie sie selbst am besten und schnellsten erledigen können. Ein Beispiel: Während ein durchschnittlicher Kollege noch den Einführungsartikel liest, hat der hochbegabte Kollege bereits eine vollständige Konzeptmappe erstellt – natürlich „nur mal so“, falls jemand Ideen braucht. Oft unterschätzen sie dabei, dass diese proaktive Haltung auf ihre Kolleg*innen wie ein übermotiviertes Marschieren wirken kann. Während sie also ihre Fähigkeiten entfalten, könnte die weniger kompetitive Teamkultur sie als „Überflieger“ abstempeln.
Um dem vorzubeugen, setzen viele Hochbegabte auf Strategien, die eher humorvoll und selbstironisch sind. Manche stellen dumme Fragen, um nicht als „Besserwisser“ dazustehen, während andere ihre Kompetenz gezielt zurückhalten, um das Teamgefühl zu stärken. Aber, Hand aufs Herz: Hochbegabte spüren die unterschwellige Unzufriedenheit mit dieser Taktik und begeben sich lieber in Projekte, die von vornherein ein gewisses Niveau an Kompetenz und Expertise fordern. So lassen sich beispielsweise anspruchsvolle, kreative Aufgaben als eine Art „berufliches Hobby“ annehmen, um den eigenen Leistungsanspruch auszuleben, ohne dass sich das Team direkt überfordert fühlt.
3. Soziale Eingebundenheit – „Ich mag euch, aber ich muss mal kurz … allein denken.“
Soziale Eingebundenheit ist auch für Hochbegabte ein wichtiges Bedürfnis. Viele von ihnen berichten, dass sie oft als Einzelkämpfer_innen gesehen werden, obwohl sie durchaus gern im Team arbeiten. Doch wenn der Austausch mit den Kolleg_innen mehr über das Wetter als über relevante Themen geht, kann das Interesse schnell schwinden. Schlegler stellte fest, dass Hochbegabte besonders häufig Strategien nutzen, die ihnen ermöglichen, die Gesprächsthemen oder -partner zu wechseln, wenn die Diskussionen zu oberflächlich werden.
In der Praxis kann das so aussehen, dass Hochbegabte Gespräche durch geschickt gestellte Fragen auf ein für sie spannenderes Niveau lenken. Ein kurzer, analytischer Kommentar hier und da, vielleicht ein humorvolles „Ach ja, das erinnert mich an eine ganz besondere mathematische Formel …“ – und schon ist die Aufmerksamkeit auf einem Niveau, das auch die intellektuelle Freude der Hochbegabten weckt. Allerdings muss man aufpassen, dass die Kolleg*innen dies nicht als arroganten Alleingang interpretieren. Daher kann es hilfreich sein, die eigene Rolle in sozialen Interaktionen zu reflektieren und zu erkennen, dass auch ein oberflächliches Gespräch mit einem Lächeln und einem Hauch Selbstironie gut ankommen kann.
Fazit: Der tägliche Balanceakt für Hochbegabte – und ein Schmunzeln für die Insider
Hochbegabte erleben den Arbeitsalltag oft als eine Gratwanderung zwischen Selbstverwirklichung und Anpassung. Sie lieben anspruchsvolle Aufgaben, intelligente Gespräche und kreative Lösungen – aber nicht immer gibt es dafür das passende Umfeld. Kleine, aber wirkungsvolle Strategien wie das Anpassen der Kommunikation, das Setzen von künstlichen Deadlines oder das Finden kleiner beruflicher „Hobbys“ helfen ihnen, die eigene Autonomie und Kompetenz im Job zu sichern, ohne das Teamgleichgewicht zu stören.
Die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan erinnert uns daran, dass auch Hochbegabte grundlegende Bedürfnisse haben – das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit. Mit einer gesunden Portion Humor, Selbstreflexion und der Fähigkeit, im richtigen Moment die eigene Denkgeschwindigkeit herunterzudrehen, können Hochbegabte sich selbst und ihrem Umfeld gerecht werden. Denn am Ende des Tages will niemand wirklich als „intellektuelles Raubtier“ gelten – selbst wenn die Lösung für das neueste Projekt längst in der Schublade liegt.
Grundlegendes zur Selbstbestimmungstheorie als eine der Motivationstheorien: https://cbrell.de/blog/selbstbestimmungstheorie-der-motivation-nach-deci-und-ryan/
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